
Kommt, das gute Brot des Nordens wolln wir stückenweise braten in dem guten Öl des Südens, wie es schon die Väter taten. Von dem guten Wein des Westens trinken wir dieweil wir essen, um die liebe Not des Ostens schlückchenweise zu vergessen.
Über den Sand in die Böhmische Straße
und nachgehens ins Kunsthaus Raskolnikow
Als der 30jährige Krieg vorbei war, hatten Hunger und Pest gründlich abgeräumt und die extensive Holznutzung das ihrige getan, die schon im Mittelalter “der Sand” genannte Gegend vor dem rechts-elbischen Alten-Dresden (seit 1732: Neustadt) in eine Wüste zu ver-wandeln. Die 1652 ausgesandten Revisoren meldeten Treibsand und freie Sicht bis zur Heide und verwehte Wege; vom Schwarzen Tore an fänden sich zwischen Königsbrücker und Radebergischer Straße weder Baum noch Strauch noch Felder.
Guter Rat war teuer, also dauerte es noch einmal 50 Jahre bis der Entschluss reifte. Ein "Spezialrescript" des Kurfürsten Friedrich August I, (genannt “der Starke”, als August II. König von Polen) vom 26.9.1701 wurde zur Gründungsurkunde der späteren Äußeren Neustadt: “das vor Dresden und bis dato unfruchtbar gelegene Feld, insgemein auf dem Sand genannt, weiln solches ohnedem im geringsten nicht zu gebrauchen, (ist) erb- und eigentümlich denen zu übergeben, die vor der Fes-tung bauen wollten.”
Der tüchtige Ingenieur-Obrister Johann Christoph Naumann war unter den ersten, die der Ruf der Wildnis lockte. In den 20ern ließ er an der Straße nach Bautzen ein sehr großes Stück Land abstecken und nahm es in Kultur. Als er 1742 starb, hinterließ er einen Baumgarten mit Haus, dessen Grenzen den späteren Verlauf der Loui-sen- und der Martin-Luther-Straße bestimmten und mittelbar auch den der Böhmischen... Letztere war in den 1750ern eine Zufahrt, die von einem Feldweg (später: Alaunstraße) abbog und vor Naumanns Garten blind endete. 1797 heißt dieses regulär gemachte Wegstück erstmals Böhmische Gasse.
Naumanns Garten ging an den Ratskellerwirt Johann Friedrich Boden, dessen Bierschankkonzession von 1759 ein Wirtshaus an der Bautzner Straße nach sich zog, das unter diversen Namen bis 1945 existiert hat: Bodens, Altbodens, Martins sonst Alt-Bodens, dann Reussischer Garten, seit 1874 Ballhaus...
1830 stiftete Johann Gottfried Martin, Wirt von Alt-Bodens, zwei Streifen seines immer noch großen Grundstücks: für eine Verbindung nach der Badegasse (Louisenstraße) und die Verlängerung der Böhmischen Gasse. Erstere wurde Martinstraße (heute: Martin-Luther-Straße) genannt, was gewiss eine große Ehre war, aber womöglich nicht die Hauptsache. Der Straßenbau, den die Gemeinde des “Neuen Anbaus vor dem Schwarzen Thore” mit 250 Thalern zu bezahlen hatte, erschloss sein Bauland von zwei Seiten. Bis 33 verkaufte er alles längs der Martinstraße, danach noch einmal so gut an beiden Seiten der Böhmischen Gasse. Eins der um 1836 gebauten Häuser steht noch:
die Nummer 34, das Kunsthaus Raskolnikow.
Bis an die 1880er trug das Haus die Nummer 11. 1840 gehörte es einem gewissen Herrn Friedrich, von dem weder nachteiliges noch sonst etwas bekannt ist. In den 20ern des 20. Jahrhunderts war es der Dekorations- Maler Julius C. A. Jahn, der von zehn Mietparteien den Mietzins einstrich und in den 40ern Jahns Erben nebst zwei Miteigentümern, denen 12 oder 13 Parteien das Pulver schuldig blieben oder auch nicht. Eine feine Adresse war die 34 jedenfalls nicht, nimmt man das Sozial-prestige der im Haus vertretenen Berufe zum Maßstab: Schneider, Polizei-Sergeant, Buchhalter, Kessel-schmied, Schneiderin, Arbeiterin, pensionierte Hebamme, Tapezierer, Wirtschafterin (1920) und
Wehrmachtsangestellter, Monteur, Schneider, Maschi-nen-Schlosser, Arbeiterin, Kraftwagenfahrer, Schlosser-gehilfe, Tanzlehrer, Beifahrer...(1943) Aber eine feine Gegend war die ganze Neustadt nicht.
Mitte der 80er war das Haus weitgehend leergezogen und stand mit der halben Neustadt dem Abriss näher als allem anderen. Ohnmacht muss aber nicht sein: Dresdner Künstler - Rainer Görß, Viola Schöpe, Harriet Böge, Tom Herold, Thomas Reichstein u.a. - besetzten in aller Stille den Arbeits- und Lebensraum: ein Pappschild in der Tür erklärte die Böhmische 34kurzentschlossen zur Außenstelle der Kunsthochschule (HfBK), beruhigte den ABV (Abschnittsbevollmächtigten der Volkspolizei) und ersetzte den Mietvertrag ausreichend. Anfang der 90er, im ersten Jahr des Szenekneipenbooms, wurden das Café Raskolnikoff etabliert, der Kunsthaus Raskolnikow e.V. und das Kunsthaus Raskolnikow begründet. Die Einrichtung der heutigen Raskolnikoff Bar wurde in dieser Zeit entworfen und gebaut. 1996 begann die Sanierung des Hauses, sorgsam und mit der gebotenen Ach-tung. Seit Oktober 97 arbeiteten Büro und Galerie des Kunsthauses wieder im ersten Stock und seit Sommer 98 steht den Gästen des Kunsthauses eine kleine Pension offen.
Recherche und Text: Gregor Kunz
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