Wood Wood Wood.
Manifest der geschlüsselten Gesellschaft
Prolog
Vor der Türe stehen Zwei und können sich nicht entscheiden.
„Ich würd‘ ja reingehen, wenn man da nicht rauchen würd‘, weisch?“
„Ja, da kriegsch kei‘ Luft me‘.“
I.
Drinnen das Auffangbecken für die Müden und die Überwachen, für die trübselig Liebesbekümmerten und die fröhlichen Tagediebe, die Verlassenen und die Suchenden. Für die einen die Oase der Alltagsflucht, für die anderen Ziel des alltäglichen Einkehrschwungs nach Feierabend.
Die Theke ist voll von Zigarettenschachteln, irgendwann wird ohnehin geteilt. Der Rauch wechselt die Farbe im Wandelspiel der Barbeleuchtung.
An einem Stehtisch sagen Silberlocken und Nachgefärbte, wie’s hier früher war, als sie ihr Haar noch voller trugen. (Schlafen ihre Kinder schon oder wünschen sie sich welche?)
„Aber“, flüstert ein Westentaschenpoet seinem Gin Tonic zu, „es gibt kein Zurück, denn niemand hat gewartet. Wer sollte auch – und warum?“
Das gefällt der heiligen Trinkerin auf dem Hocker daneben und sie prostet dem Melancholiker zu.
Fotoshootings passieren hier nachmittags, dabei tauchen die interessanten Motive erst am Abend auf. Die tausendmal gesehenen Provinzschönheiten im Metropolenlook, die sich tausendmal durchs tausendschöne Haar streichen, fläzen sich auf den Ledersofas und wissen um die Blicke der Knaben auf den Kuhfellhockern, die an ihren Bierflaschen mümmeln, die die Etiketten wegrupfen, um nicht Nägel kauen zu müssen, und hektisch ihre Feuerzeuge hervorzerren, wenn die Diven aus Donautal und Nordstadt fragend die Zigarette an die Lippen führen.
Der Blick des Chronisten schweift herum. Es gibt keine Getränkekarte, man kennt die Preise, wie man sich kennt, wie man beinahe alle kennt. Schließlich vereinen sich hier Fluch und Segen einer dösigen Kleinstadt, die sich ab und an im Größenwahn als Hochschulstadt gebärdet. Bleiben die Kinosäle meist halbleer, schreibt sich hier Abend für Abend ein Drehbuch fort, das irgendwo zwischen absurdem Theater und derbem Lustspiel schwankt.
Da beschwert sich eine entrückte femme fatale über das Koffein im Eistee, beklagt schlaflose Nächte; da brechen jahrelang zurückgehaltene Zwistigkeiten wieder auf.
Maschinenbauer und Medienhuren, die Alteingesessenen und die Greenhorns, die in James-Dean-Pose ihre erste Zigarette und ihr erstes zweites Bier trinken; dort hinten bunkert eine Clique die Sofaecke, dort vorn bestellt das Thekenstammpersonal nur noch mit Handbewegungen. Der Wirt runzelt die zerquälte Stirn beim Anblick der offenen Rechnungen. Die Bedienungen machen Limbo oder Pause, aber über Interna plaudern wir nicht.
Die Schickeria der Scheinalternativen hält Hof und begießt jubelnd die Urlaubsentscheidung – und sei sie nur Wiederholung, geübte Routine. Heimgekehrte lassen sich im trüben Licht der Thekenlampe mustern und nach Veränderungen absuchen, ertrinken aber selbst in harmonisierender Vergangenheitsbesoffenheit.
Im Halbdunkel vor der Toilette, von denen sich einige ein Upgrade wünschen, haben sich Zwei gefunden; hektische Küsse - und zotige Witze der Vorübergehenden. Am Tresen wird das Geschmuse Gerücht und dann Klatsch. Morgen ist es Erinnerung beim Katerkaffee.
Im blinzelnden Licht der Kerzen erzählt manch einer von der großen Liebe, die ihn verschmäht; am Nebentisch feiert eine ihr neues Musikvideo, während ihr Freund stumm und verzweifelt vor dem großen Wort Zukunft sitzt.
Eine gehörige Portion Weltflucht ist neben der angesteckten Zigarette im Mundwinkel der Schlüssel zu dieser Arche der Schönen und Schäbigen.
Man politisiert hier ein wenig, aber nie zuviel. Provinzklatsch ist beliebter. Während im Kühlschrank der Welt teuerste Fritz Kola thront, sucht ein Taxifahrer inmitten des Getümmels seine Fahrgäste und findet andere. Die heilige Trinkerin am Tresen, manchmal auch dahinter, lacht laut drüber, flicht eine Anekdote ein und muss sich an ihrem goldperlenden Beck’s festklammern.
Draußen beschwert man sich über den Rauch, die Atemlosigkeit – aber welche meinen sie denn? Atemlos sind hier auch die Gespräche, die Knalligkeit, die Pointenjagd und Lachsucht, die den horror vacui vertreiben. Draußen, wenn der Nebel sich lichtet, wartet sonniger Trott, das Treiben schwäbischer Krämerseelen, denen man gern etwas verrauchten Metropolismus entgegenhalten will. Zumindest deuten dies die Macbooks am Mittag an, an denen gearbeitet (?) wird.
Die Glocke zur letzten Runde ertönt, begleitet vom erleichterten Seufzen des Personals. Nachtschattengewächse einigen sich auf das wirklich allerletzte Bier.
Sollen die gesundheitsfanatischen Konformisten doch draußen über Lärm und Rauch jammern.
Lasst den Schlüssel doch dieses verqualmte Kaleidoskop des Tuttlinger Lebens der Jungen und sich jung Glaubenden sein.
Hier ist die Arche für Alle:
Für die Gestrandeten, die Sparkassenpunks, die Hausmeister und Hasardeure, die Tussis und die Tunten, die Freaks und die Friedlichen, die Tankstellenschläfer und die Torkelnden, die Quasselstrippen und Quälgeister, Querdenker und Querulanten, die Zecher und die Kostverächter, die Rapper, Rosenzüchter, Rotweinschwenker, Thekenluder und Traumtänzer, Vermögensberater und Verliebte, Artur und die Arbeitsbienen, Frischlufthasser, frisch Verlassene, die Feen und Feierbiester, für Firmenerben und die unbezahlten Praktikanten, für Grufties mit Engelsgesichtern, für enthemmte Beamte und abgeschminkte Formationstänzerinnen. Für die, die früh nach Hause gehen, und die, die man nach Hause fährt.
Epilog
Auf den Stühlen vor der Tür sitzen zwei Sonnenbrillenträger und rühren ihren Cappuccino um.
„War rakete, oder?“
Man träumt vom Großen und hat sich’s im Kleinen gemütlich eingerichtet. Man gestikuliert über die Heldentaten der vergangenen Nacht. Die betrunkene Produktion von Erinnernswertem und ihre gähnend-glucksende Reproduktion in der Ernüchterung – quasi ein Tuttlinger Gesellschaftsspiel, trivial pursuit of happiness.
Eine ältere Dame geht vorbei und fragt, was da drin los sei.
Einer senkt die Sonnenbrille auf die Nasenspitze und grinst:
„Geschlüsselte Gesellschaft.“
Koka Rausz, März 2011
Danke an Linus Guggenberger.
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